Der große Versammlungsraum im Kunstverein Coburg war bis zum letzten Platz besetzt. Nicht nur das: Dicht gedrängt standen wir neben vielen anderen Gästen, an die Wände des Saals gelehnt. Von den geöffneten Saaltüren her war zunächst Geflüster zu hören: dann ein Raunen und später, als der offizielle Eröffnungsakt zur Jahresausstellung drinnen beendet war, der Satz „Wir waren ja pünktlich da, aber reingekommen sind wir leider nicht …!“
Doch jetzt erst mal der Reihe nach.
Ausgeliefert
Es wuselt. „Stell Dir vor, wir haben dieses mal Teilnehmer:innen von weit her, aus ganz Deutschland, aus Frankreich und …!“ Diesen Zuruf von Dr. Natalie Gutgesell, 1. Vorsitzende im Vorstand des Coburger Kunstvereins, gerade noch im Ohr, schon drängt eine Dame an mir vorbei zu den Anmeldetischen, sie kommt aus Köln.
Dahinten dann, im Gedränge, Angelica Nothas aus Saarbrücken und Lemonie Pearl aus Nürnberg. Wir kennen uns von gemeinsamen Seminaren an der Akademie Faber Castell in Stein. Während ich mich noch über das Wiedersehen freue, werden um uns herum sorgsam verpackte Leinwände enthüllt. Aus dem Kofferraum eines Fahrzeugs muss etwas heraus manövriert werden. Was ist es denn? Eine Plastik? Eine Skulptur? Auch wenn ich es noch nicht genau erkennen kann – vielleicht können wir wenigstens tragen helfen?
Das, was Sie soeben als Letztes gelesen haben, ereignete sich bereits Ende Oktober: Die Anlieferung der Kunstwerke zur Jahresausstellung im Kunstverein Coburg 2024.
NOW.
Heute Abend hat alles seinen Platz gefunden. Nein, nicht alle Besucher und Besucherinnen der diesjährigen Eröffnung im Kunstverein. Dafür aber die über 130 ausgewählten Kunstwerke, die bei der Jahresausstellung NOW/ NEW / NEXT präsentiert werden, die heute eröffnet wird.
Die Kurator:innen, Juror:innen, die Hängekommission und zuletzt das Aufbauteam, hatten mit Sicherheit wochenlang alle Hände damit voll zu tun. Sichten, sondieren, kombinieren, platzieren, hängen, beschriften und nicht zuletzt katalogisieren. Ein Mega Job. Meist ehrenamtlich. Unzählige Stunden fließen in diese Vereinsarbeit, für die wir Mitglieder, jeder und jedem einzelnen der Mitwirkenden dankbar sein müssen.
Dazu springt mir der aktuelle Band No. 299 von Kunstforum mit dem Titel „Kunstvereine“ ins Auge, der gerade hier auf meinem Tisch im Atelier liegt. Er beschreibt den unverzichtbaren Anteil der Kunstvereine am kulturellen und gesellschaftlichen Leben, aus verschiedensten Blickwinkeln und in spannenden Interviews.
Auf gute Nachbarschaft
„Ich war ja schon so gespannt auf Ihre Kissen …“. Eine Besucherin erzählt mir, daß sie am Vormittag den großen Bericht im Coburger Tageblatt über die Jahresausstellung gelesen hat. Nun findet sie die von mir gesammelten Worte und Sätze von Menschen, ausgesprochen kurz vor ihrem Tod, im kühlen weißen Raum im Untergeschoß des Kunstvereins.
Der Abschied, sozusagen „als Nächstes“, schwebt metaphorisch über mehreren der hier gezeigten Arbeiten, wenn gleich an der rückwärtigen Wand das Gemälde „Zufall der Geburt“ von Ellen Loh-Bachmann, aka ELOBA, farbenfroh das Gegengewicht hält.
Vorne im Raum zieht das „Abschiedskleid“ von Georgia Herold die Betrachtenden in seinen Bann. Mich fröstelt. Nicht nur bei ihrem Satz „für die letzte Reise“, mit welchem die Religionswissenschaftlerin ihre facettenreiche Textilkunst untertitelt.
Die „Richtungssymbolik“ von Vera Schnitzer aus Coburg stellt daneben symbolisch die Frage: Wohin gehts denn? Jetzt? Demnächst?
Meine Arbeit LETZTE WORTE finde ich also in eine perfekte Nachbarschaft eingebettet. Die 23 Kissen strahlen etwas Beruhigendes aus, gleichzeitig stellen sie Fragen: Was könnten Deine/ Ihre letzten Worte wohl sein?
NEW!
Die „Verflechtungen“, in der beeindruckenden Stoffskulptur von Birgit Heinlein aus Bamberg, reissen mich aus den Gedanken zurück in die Realität. Ein Glück, wie verflochten wir sind!
Die Eröffnung am Spätnachmittag geht in einen Abend mit wunderbaren Begegnungen über: Das völlig überraschende Wiedersehen mit Christoph Brech, einem Künstler, dessen Videokunst ich seit Jahren mit großer Begeisterung verfolge. Wenige Minuten nach unserem Gespräch erfahre ich, während der Preisverleihung durch die VR-Bank, daß sein Videofilm „Zeichen“ heute, hier im Kunstverein Coburg, ausgezeichnet wird.
Aus Bremen eigens angereist ist ein Künstler:innen Paar, dessen freundliches Sitzplatz Angebot mich gleichzeitig freut und erschreckt (Oh … denke ich, fast wie in der U-Bahn …!). Schade, daß wir uns im Lauf der so gut besuchten Veranstaltung aus den Augen verloren haben!
Verflochten – in Begegnungen
Extra mit der Bahn zur Vernissage nach Coburg gekommen sind Freunde und Freundinnen aus Bamberg, die ich später im Gedränge der Gäste begrüßen kann.
Eine liebe langjährige Begleiterin meines künstlerischen Schaffens, aus Coburg, bringt mir ein Tütchen mit getrockneten Äpfeln zur Stärkung „für das Nächste“. Schöne Gespräche zu meiner Arbeit LETZTE WORTE entwickeln sich. Fragen von wem die Zitate stammen. Privat? Persönlich? Öffentlich bekannt? Alles ist verflochten.
Im Lauf des Abends – das muss ich jetzt einfügen – an dem zuhause in Fürth die Glanzlichter stattfinden, freut es mich ganz besonders, daß Menschen, nach meiner Aufforderung, den Mut aufbringen, die Kissen in die Arme zu nehmen, damit fotografiert werden wollen und sie auf Instagram posten.
Das gehört für mich einfach dazu: Die Begegnungen der Gäste mit meinen Arbeiten. Interessierte Betrachter:innen werden somit selbst zu Akteur:innen und Mitmachenden. Sie sind Teil des Kunstwerks.
Ein herzliches DANKE an Jana und Andy für die schönen Fotos. Jana, Rettungssanitäterin und Studentin in Coburg, hat zu den letzten Worten eine besondere, eine spürbare Verbindung.
NEXT?
„Was kommt denn als Nächstes?“ Eine Frage, die mir bei dieser Vernissage öfters gestellt wird.
Dafür gedacht sind die Karten, die ich neben meine Kissen lege, schließlich sehe ich die Installation als ‚Work in progress’: ich frage nach den Gedanken der Besucher:innen. „Was könnten denn Ihre letzten Worte sein?“ Eine schwere Frage, wird es mir mehrmals bestätigt. Manche Karten liegen mittlerweile ausgefüllt vor mir. Manche begleiten, in Hand- und Jackentaschen versenkt, die Gäste dieser Eröffnung nach Hause.
Ich freue mich sehr, wenn die Karten auf irgendeinem Weg wieder zu mir kommen. Egal ob per Post, Mail oder Instagram – aber mit letzten Worten.