SOUVENIR oder DIE FÄDEN DER ERINNERUNG
Auf der Landkarte. Ganz oben.
Ausnahmsweise mal keine Burg im Ortsnamen, auch kein Rot, das die roten Fäden meines Projekts anlockt. Dafür die mächtige Festung Rosenberg, die über dem bezaubernden Städtchen thront. Bei dem Ortsnamen Kronach, denken wir sofort an Cranach d. Ä., der aus der oberfränkischen Stadt stammte. Vieles hier erinnert an den bedeutenden Künstler, den Maler und wegweisenden Buchdrucker. Welche ganz speziellen Verknüpfungen zu ihm wir bei unserem Besuch ‚dort oben’ heute erleben würden, konnten wir vorab nicht ahnen. Doch alles der Reihe nach.
„Wenn ich jemals nach Kronach komme, will ich IHN unbedingt kennen lernen“. Diesen festen Vorsatz hatte ich bereits seit Längerem, denn in Zeiten von Internet, Instagram und Co. kennt man Menschen, die man nicht jedoch nicht persönlich kennt – ich nehme an, das geht nicht nur mir so?
Einer der Ideenstränge meines Projekts Souvenir oder die Fäden der Erinnerung ist es, mit Menschen direkt in Kontakt zu kommen. Mit ihnen über ihre Interessen, ihre Arbeit, ihre Projekte und Pläne, über ihr Leben zu sprechen, Gedanken auszutauschen. Dazu sollte es bei dem heutigen Besuch in der ‚Lucas-Cranach-Stadt‘ ausreichend Gelegenheit geben.
FFF = Faszinierendes Fränkisches Füllhorn
Ich hatte Glück. Es gehört für mich, genau wie Planung und Zufall, zu meinem Arbeitsprozess. Klingt für manche Leserin vielleicht etwas seltsam, weil widersprüchlich. Trotzdem, das Widersprüchliche ist ebenso Teil meiner Arbeit als Künstlerin.
Jetzt aber muss ich auf IHN zurückkommen. Ich hatte Glück, ihn gleich am Telefon und schon nach wenigen Minuten kommt eine imposante Person auf mich zu.
Nachdem uns vor dem schmiedeeisernen Tor in der Spitalgasse bereits der Lärm von Motorsägen begrüßte, wußte ich, daß wir hier richtig sind und ein paar Schritte weiter, mitten drin: In der „Jubiläums-HolzART XXV“ von Ingo Cesaro, dem Schriftsteller, dem Haiku-Poeten, Besitzer einer einzigartigen mobilen Druckerpresse, dem Ideenfinder und Ideengeber unzähliger Kunstprojekte, dem Networker zwischen internationalen Künstlern und Institutionen. Durch sein Mail Art Projekt zum 550. Geburtstag von Lucas Cranach, hatten wir uns 2022 indirekt kennen gelernt. An diesem knallheißen Juli Vormittag standen wir unendlich gegenüber.
Und, da war er wieder, der Cranach. Er lag direkt vor mir. Zumindest war sein Antlitz klar und deutlich erkennbar. Der Mann unter dem Helm skizziert auf dem dicken Stamm einer alten Kastanie gerade mit Bleistift Weintrauben. Ingo Cesaro nimmt dies zum Anlass, mich kenntnisreich mit Details über Cranach zu füttern. Als Künstler und Buchdrucker ist er mir bekannt, aber als cleverer Weinlieferant? „Ja, der liess sogar in leeren Fässern gedruckte Bücher nach Italien transportierten.“
In einem Atemzug mit seinen Erzählungen über den einfallsreichen und einflußreichsten Meister der Renaissance, schüttet Ingo ein wahres Füllhorn an Gegenwart und Vergangenheit, an Kunst, Kultur und Politik über uns aus. Sein Redefluss ist nicht zu bremsen. Das Dröhnen der Motorsägen im Hintergrund höre ich kaum mehr. Mitmachaktionen, Poesiebäume, Haikus und schier endlose Anekdoten seines kreativen Lebens- ich bin faszinier. Unerschöpfliche Geschichten über Künstler und Künstlerinnen, die er kennenlernte, mit denen er zusammengearbeitet und die er untereinander vernetzt hat.
Heute hat Ingo Cesaro außerdem noch einen wichtigen Termin, gleich muss er weg. Am Mittag stellt er der Öffentlichkeit seinen Poesiebaum an der Frankenwaldklinik vor. Das hindert ihn nicht, mir noch die beiden Holzbildhauer vorzustellen, die hier in der romantischen Gartenanlage des ehemaligen städtischen Bürgerspitals unter Stoffpavillons energisch massive Baumstämme bearbeiten. Die Baumstämme haben übrigens ihre eigene Geschichte, vielleicht komme ich später am Tag noch dazu, diese zu berichten. Für den Moment muss es genügen, kurzentschlossen packe ich ein paar Holzbrocken als Souvenir ein und kritzle die beiden Namen der internationalen Holzkünstler in mein Souvenir Tagebuch: Michael Alexandrov und Alejandro Romero.
Ein paar Tage nach dem Souvenir aus Kronach erreicht mich ein Brief von Ingo Cesaro, über den ich mich sehr freue. Genauso wie über mögliche gemeinsame Projekte in der Zukunft.