SOUVENIR oder DIE FÄDEN DER ERINNERUNG
Wo machen denn Sie Urlaub?
Eine Frage in diesem Sommer läßt sich einfach beantworten, die nach unseren Urlaubszielen. „Wir bleiben hier.“ Mein Gegenüber ein lebendes Frage-Ausrufe-Zeichen: „Ach so?!“ NEIN, kein Urlaub! NEIN, es ist auch keine Erholung! Es ist ein Kunstprojekt.
Sommerhitze – das hätten wir uns schließlich vorher denken können. Dabei schafft uns weniger die Hitze, mehr die Tatsache, daß bei sengender Sonne nur wenige Menschen unterwegs sind. Die, die unterwegs sind, hasten vorüber. In den Schatten. In ein klimatisiertes Kaufhaus. Manchmal ist einfach niemand da. Kein Gespräch zur Kunst, keiner den man fragen kann. Nicht mal nach dem richtigen Weg.
Unser Kunstprojekt führt uns an entlegene Orte und an die Grenzen Frankens. Es sind die Grenzen zwischen Mittel-, Ober- und Unterfranken. Oder, heute, die Grenze zwischen Franken, Schwaben und Oberbayern.
Und es gibt
„… und es gibt nachts die schnellen Züge, unterwegs nach Bogotá. …
Es gibt so viel zu wenig, und so viel zu viel,
Es gibt die Nachtigallen und es gibt am Weg den Stein,
Es gibt das Scheinen, und glaub mir, es gibt das Sein.
Und es gibt Fremde, denen man sofort vertraut …“
An diese Zeilen von Andre Heller muss ich denken, als wir unterwegs sind zwischen Monheim und Warching. Nie gehört? Doch, Bogota schon. Aber Rögling?
Wenn die Straßen leergefegt sind, musst Du einfach vertrauen, falls Du endlich jemanden triffst. Das Navi hatte inzwischen kapituliert, es schlägt knallhart vor „Fahren Sie auf eine digitalisierte Straße“, der Pfeil deutet umdrehen an. Die Beschreibung, die wir einem älteren Mann vor einer Scheune geradezu abringen müssen, läßt Zweifel zu. Umständlich, zögerlich, armfuchtelnd, scheint er beim Erklären in Gedanken gerade selbst den Weg zu Fuß abzulaufen. Ich war froh, diesen Ort nicht mit den ‚Öffentlichen’ geplant zu haben.
Fränkisches Nirwana
Die roten Schuhe und ihre Trägerin kamen sich etwas verloren vor, als wir der unbeholfenen Wegbeschreibung folgen. Sollte der gesuchte Punkt tatsächlich zu finden sein? Da ist doch weit und breit nichts und niemand! Plötzlich kommt uns ein völlig überdimensionierter Traktor ziemlich flott entgegen. Die Schotterpiste schmal, holprig, steinig. Die Staubwolke, durch das Gefährt aufgewirbelt, endlos. Ich muss mir anhören, was das wieder für eine Idee ist, solch einen Fleck „im Nirgendwo“ auszuwählen. ,OK …’ denke ich ‚…Kameramänner sind schließlich auch bloss Menschen …“.
Innerlich bin ich froh, daß ich in dieser verlassenen Gegend nicht allein mit meiner roten Wolle unterwegs bin. Ausgerechnet fällt noch eines der Knäuel in eine schlammige Pfütze. ’In fünf Minuten gebe ich meinen Plan auf’, soviel steht für mich fest, sollte da nicht endlich was kommen.
Mit deutscher Gründlichkeit kommt doch noch Einiges: Eine Stele aus Stein – von Rupert Fieger, Künstler und Steinmetz aus Eichstätt – markiert das Dreiländereck. Ein sanft geschwungener Steinrand umgibt sie, auf dem spiralförmig erklärt wird, welche Regionen hier aneinandergrenzen. Die Übersichtstafel dahinter, erläutert ausführlich die Historie des Grenzpunktes. Auf einem bescheidenen Holztäfelchen ist zu lesen, daß sich die rote Wolle im Moment exakt auf 436 Meter Höhe befindet.
Mein Wissen über Franken – schlagartig erweitert. Zu meiner großen Freude gibt es einladende Holzbänke, auf denen ich mein Souvenir oder die Fäden der Erinnerung verknüpfen kann, wenn denn jemand auftaucht, an dieser voraussichtlich einsamsten Stelle unseres Kunstprojekts. In diesem Moment: zwei Radfahrer. Freundlich grüßend treten sie in die Pedale und surren an uns vorbei.