Atelier PAS
Petra Annemarie Schleifenheimer

Sammeln, pflanzen, giessen, warten …

Wie aus einer Idee im Jahr 2017 ein Projekt wurde: Die Aufzucht von Sprösslingen aus Eicheln der 7000 Eichen von Joseph Beuys. WURZELN VON GESTERN – BLATTWERK FÜR MORGEN .

Nachfolgend die ganze Geschichte was aus den Eicheln geworden ist und, wo nun einer unserer Zöglinge eine neue Heimat fand.

Am Anfang war … die Wurzel

Etwas scheint in der Luft zu liegen, bei unserem Besuch der documenta 14 im Jahr 2017. Bereits im Museum Grimmwelt springt uns der Text der Gebrüder Grimm zur „Wurzelforschung“ ins Auge. Daneben das eigens für die Grimmwelt angefertigte Werk „Colored Roots 2009-2015“ des chinesischen Künstlers Ai Weiwei, fünf riesige farbige Wurzeln. 

Wurzel – Stein – Baum

Am Brüder-Grimm-Platz machen wir eine kleine Pause bei der „Schillereiche“. Auf einem grauen Felsblock eine Bronzetafel. Gepflanzt 1909, das Jahr, in welchem sich der Geburtstag von Friedrich Schiller zum 150 mal jährte. *


Meiner Intuition folgend, nehme ich eine am Boden liegende Eichel mit und halte den Fund als „No.1“ in meinem Skizzenbuch fest.

Bevor es hinunter in die Stadt geht, schweift  der Blick kurz hinüber zu der mit Jutesäcken verhüllten Torwache. Neben diesem Kunstwerk, des aus Ghana stammenden Künstlers Ibrahim Mahama, entdecke ich einen Baum und daneben einen Felsbrocken. Aha, wieder einer der Bäume von Beuys zur „Stadtverwaldung“.

Am Anfang war … die documenta

Bei Rundgängen durch Kassel treffen wir in den nächsten Tagen an völlig unterschiedlichen Orten im öffentlichen Raum auf Joseph Beuys, oder, besser gesagt, auf eines seiner Werke, das er der Nachwelt in kluger künstlerischer Weitsicht hinterliess. Sein Beitrag zur Documenta 7, im Jahr 1982, begegnet uns auf Schritt und Tritt im Stadtraum: 7000 Eichen.

Daß zwischen 1982 und 2017 nicht ausschließlich Eichen gepflanzt wurden, darüber informiert die Übersichtstafel der „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“, aus der genau ersichtlich ist, wo welcher Baum gepflanzt wurde.

Im Gepäck – unreife Gedanken 

Obwohl wir uns während des Aufenthalts in Kassel auf die zeitgenössische Kunst konzentrieren, springen sie uns doch immer wieder und, gefühlt überall, ins Auge. Eine Idee lauert in unseren Köpfen, jedoch scheint sie noch nicht reif, um ans Tageslicht gebracht zu werden. Mit der einzigen Eichel No.1 im Gepäck treten, wir die Heimreise an, ohne zu wissen, welcher Gedanke daraus erwachsen sollte.

Es dauert knapp 3 Monate bis eine vage Idee tatsächlich Form annimmt: Was wäre, wenn wir für Nachkommen dieses Kunstwerks von Joseph Beuys sorgen? Wir wollen eine nächste Generation der 7000 Eichen züchten. Unser Projekt WURZELN VON GESTERN, BLATTWERK FÜR MORGEN entsteht.

In die Tat umsetzen

Ausgerüstet mit 7 Papiertütchen, einem Eimer und 12 Litern Wasser, fährt Roland extra nochmals nach Kassel zu den inzwischen herbstlich – belaubten Bäumen von Beuys. 

Unser Plan: an sieben unterschiedlichen Punkten der Stadt jeweils 10 Eicheln von den Originalbäumen des Künstlers einzusammeln und nach Fürth bringen. Damit hätten wir, wenn alle aufgehen, 70 genetische Abkömmlinge und die GPS Koordinaten auf den Papiertütchen würden deren genauen Herkunftspunkt zeigen. 

51.289682, 9.515806

Nachdem wir später, lediglich Eicheln haben wollen, die sich vermehren ließen, hatten wir uns vorher darüber eingelesen, wie man das an Ort und Stelle feststellt. Dazu der Eimer und das Wasser. Eine Handvoll Eicheln hinein. Die nach unten sinken, das sollten unsere tragfähigen Wunschkandidaten sein. Die guten also ins Tütchen und zurück nach Fürth ins Atelier transportieren.

Was würde wohl Beuys dazu sagen?

Vermutlich würde der Vater der 7000 Eichen es in etwa so formulieren, daß Kunst entsteht, wenn der Mensch sein kreatives Potenzial nutzt, um aktiv und bewusst an der Gestaltung der Welt und der Gesellschaft teilzunehmen.

Wir nutzen in diesem Herbst 2017 unser kreatives Potential in gärtnerischer Form:  winzige Blumentöpfchen mit einfacher Erde füllen. Die Eicheln hinein drücken, giessen und dann: warten warten warten … 

Im nächsten Frühjahr zeigten sich winzige Sprösslinge, allerdings nur in einigen wenigen der Behältnisse. Im Lauf des Jahres hiess es umtopfen! Als die winzigen Steckerl in etwas größere Gefässe umgesetzt waren, wiederholte sich der Ablauf. Giessen und warten, bis sich erste kleine Blättchen zeigten. Im Herbst sortierten wir aus, was den Sommer nicht überlebt hatte. Unser Plansoll der 70 Eichen würden wir wohl nicht erreichen können, das zeigte sich bereits 2019. An die 10 % Nachkommenschaft der 7000 Eichen war nicht mehr zu denken. 

Im Frühjahr 2020 war wieder Aussortieren mit nachfolgendem Umtopfen angesagt. Unser Bestand aus nunmehr 10 Pflänzchen benötigte tatsächlich höhere Töpfe. Jeder Sprößling erhielt zur Stabilisierung ein Holzstäbchen und wir sahen einen weiteren Sommer lang dem zögerlichen Wuchs trotz bester Pflege zu.

Im Mai 2021 wäre Joseph Beuys 100 Jahre alt geworden. Wir dachten, daß dies der perfekter Zeitpunkt sei, unseren Eichennachwuchs zu präsentieren. Allerdings sahen die Winzlinge kaum repräsentativ aus, zudem hatten wiederum zwei Exemplare den Winter nicht überstanden. Dabei sollten doch gerade Eichen robust und widerstandsfähig sein?

Beinahe hätten wir sie vergessen

Das Jahr 2022 verbrachten die Töpfe irgendwo zwischen den anderen Pflanzen auf der Terrasse. Kein spezielles Giessen, kein Umtopfen, kein neues Stützhölzchen. Unser – ursprünglich so engagiert verfolgtes – Projekt geriet beinahe in Vergessenheit. 

2023 trat es wieder ins Bewusstsein, allerdings mussten wir nochmals verkümmerte Pflänzchen aussortieren, uns blieben 3 Nachkömmlinge, die wir von da an wieder sorgsam hegten und pflegten. Wir zählten jedes Blatt, das jetzt als richtiges Eichenlaub erkennbar wurde.

Heute, im Jahr 2024 haben zwei Exemplare überlebt. Sie tragen bereits Verästelungen, sind ca. 35 cm hoch und an ihren dünnen Stämmchen wachsen richtig große Blätter.  

7 Jahre später – Es sind die Wurzeln von gestern, die heute Blätter tragen

Heute, am 10. Oktober 2024 verläßt uns eine der beiden verbliebenen Beuys – Eichen. Das Papiertütchen mit den GPS Daten ist längst verknittert, aber es erzählt immer noch
von einem der sieben Fundorte in Kassel. 

Die Eiche steht für Werte wie Stärke, Freiheit, Ehre, Kraft und Unsterblichkeit. Wir finden, daß diese Werte ausgezeichnet
zum heutigen Jubiläum der Galerie Bode passen und wünschen mit diesem Sprössling, im Gedanken von Joseph Beuys, ALLES GUTE, damit aus den Wurzeln von 40 unermüdlichen Jahren eine starke und erfolgreiche Zukunft wachse!

WURZELN VON GESTERN, BLATTWERK VON HEUTE

* Nachtrag: 

2020 musste die Schillereiche leider gefällt werden. Es waren nicht viel mehr „ … als ein paar trockene Äste … “ übrig. Das Umwelt- und Gartenamt wollte bei der Fällung der Eiche deren letzte Eicheln aufsammeln und daraus Nachkommen ziehen. 

Eine Idee kommt bekanntlich selten allein!